Im Katalog des Premi, der mir vor einiger Zeit zugeschickt worden war, ist – und ich erschrak, denn wir hatten beschlossen, den Sieger erst am Tag der Ausstellungseröffnung bekannt zu geben, als Erster Remo Albert Alig, aber es war nur die alphabetische Reihenfolge, also nur ein Zufall oder doch nicht, denn:
Schon von Anfang an scheint es, als wäre für mich schicksalhaft vorherbestimmt, dass Remo Albert Alig der Sieger bei diesem Wettbewerb sein müsse.
Das kam so: Ich war schon etwas früher in Vulpera, da ich zwar nicht so weit weg, nämlich in Landeck in Tirol lebe und als auswärtiger Juror für den Premi Cultural Paradies 2004 eingeladen, nicht zu spät kommen wollte, so half ich beim Ausladen und Tragen der Werke in die Hotelhalle und begann ein Bild auszupacken, ein liebevoll eingepacktes Werk, zu dessen Handhabung als Teil der perfekten Verpackung schneeweiße Handschuhe beigestellt waren. So bekam ich das Werk Remo Albert Aligs in die Hände und las als Gebrauchsweisung, dass es deshalb nicht mit bloßen Händen berührt werden solle, weil Salz, kristallisiertes Meeressalz, ein Materialbestandteil ist. Diese Sorgfalt dem eigenen Werk gegenüber beeindruckte mich, sonst war der Eindruck zunächst unaufdringlich, unauffällig, grau in Grau-Modulationen. Aber als wir das Bild dann im Laufe unserer Arbeit ins rechte Licht rückten, kam es langsam immer mehr an rechten, den richtigen Ort, nämlich in die Mitte.
Es war mir zunächst schwer gefallen, Bilder auszusortieren, wegzustellen, aber als ich den umgekehrten Weg ging, nämlich auszuwählen, was ich aus dem reichen Angebot brauche, haben möchte, kristallisierte sich immer deutlicher das stillste Bild, das kristallisierte heraus. Noch gab es Hemmungen, soll ich so eine radikale Entscheidung vertreten, eine Arbeit, die sich von allem Pinselwerken abhob, als ginge es nicht um Abbildung der Natur, sondern um Natur selbst, kein gemachtes Bild, sondern ein entstandenes, selbst Natur, Schöpfung, bestehend aus Baustoffen der Natur in ihrem naturgemäßen, physikalischen Reagieren. Ein gewagtes Unterfangen, das sich aber der üblichen laienhaften Kritik: „Das kann mein
5 Jähriger auch“, entzieht. Da verstand ich den Arbeitsansatz, erinnerte mich an eigene Experimente mit Eis, Schnee, Pigmenten und Tusche, denen ich nicht recht zu trauen wagte, und dachte an die Bilder des großen österreichischen Malers Max Weiler, der Natur in seinen Bildern verwirklichte und nicht abmalte, empfindet und nicht nachempfindet.
Bei längerem Hinsehen begann das stille Bild dann bald etwas gesprächiger zu werden, der Bildtitel „Das trunkene Schiff/le bateau ivre“ ließ die Assoziation eines Schiffes zu, eines von gewaltigen Wellen hin und her geworfenen, gebeutelten nicht so recht hochseetauglichen Schinaggls, Bootes, sonst Wasser, Wetter, Wogentoben. Einmal Unwetter ankündigende Wolken, dann Brandung vor einer Felsküste, aber alles Toben in und durch Grau reduziert. Jetzt liegt bloß eine kleine, viel zu dunkle Kopie, die fast alle Einzelheiten verloren hat, vor mir und doch sehe ich in den Himmel, sehe Wolken, Sterne und freu mich schon , wenn ich mit der Lupe das Makroskopische mikroskopisch sehen kann, was das Bild dann für ein Leben entfaltet, was für Einzelheiten es hat, ich glaube ganze Milchstraßen, Sternenwirbel, schwarze Löcher noch zum normalen Sehen dazu entdecken können. Was tut dann das trunkene Schiff, ja, mag es in den Wolken, auf Milchstraßen schweben, dann freut sich auch Jean Nicolas Arthur Rimbaud und fühlt sich verstanden, der unbegreiflich als 17 Jähriger 1871 diese 25 strophigen vierzeiligen Alexandrinerverse verfasst hat, wissend oder ahnend, dass es so etwas vordem noch nie gegeben hatte.
Das Bildthema oder besser der Bildvorwurf „Das trunkenen Schiff/Le bateau ivre“, Gedicht von Rimbaud, eines der bedeutendsten Werke der Literatur des 20. Jahrhunderts, wird in Kindlers Literaturlexikon ein Meilenstein in der Literaturgeschichte genannt, in der Übersetzung von Walther Küchler, 1946, dem ich zum Vergleich auch noch die Nachdichtung von Paul Zech von 1947 heranzog – und weiter im „Kindler“: „In den reißenden Bildkatarakten dieser poetischen Vision, die sich der strengen überlieferten Form (des Alexandriners: 6hebiger jambischer Reimvers) nur mehr als eines wirkungsvollen Kontrastmittels bedient, bricht die Stimme der modernen surrealen Lyrik durch.“ Oder an anderer Stelle: „Angst- und Wunschhalluzinationen, chaotische Urvisionen, in denen Meeresgrund und Firmament ineinander zu stürzen scheinen.“ Darin treffen sich der Dichter und der Maler, aber das ist wohl nicht das richtige Wort, ein Alchimist ist er, mischt Substanzen, lässt sie „köcheln“, Ursuppe werden und sein. Der Künstler selbst nennt seine künstlerische Auseinandersetzung einen alchimistischen Prozess: „Die Suche nach Stoffen und Essenzen aus der Schöpfung der Involution und Evolution … Materialien aus dem mineralischen, pflanzlichen und tierischen Reich wie Kohle, Ruß, Tusche, Erdpech, Graphit, Kreide, Salze, Kalk, Harze, Öle, pflanzliche Säfte, Fett, Bienenwachs, natürliche Pigmente, Metalle, Knochen, Wasser, Tau, Spiritus …Und Remo Albert Alig zitiert zur Erklärung seiner Arbeitsweise Rudolf Steiner, den Begründer der Anthroposophie, der 1923 über das Wesen der Farbe schreibt: „Wenn wir das Leblose-Mineralische als Glanz, das Lebendig-Pflanzliche als Glanz-Bild, das Beseelt-Tierische als Bild-Glanz, das Durchgeistigt-Menschliche als Bild malen, folgen wir keiner erklügelten Theorie, sondern der Natur selbst. Ohne dieses geistig-tätige Verständnis, das meine Liebe zum Material und zur Farbe stetig steigert, bin ich kein Künstler.“
Unser Preisträger ist gewiss einer, auch wenn seine Biografie zunächst noch nicht in diese Richtung wies. Auch hier passt das Motiv Schiff, ein Dahintreiben noch ohne bestimmtes Ziel, fast ohne Steuermann – und noch ohne Trunkenheit, doch bereits der 15 Jährige beginnt mit Kunst, lernt, besucht Kurse, studiert, lehrt nun selbst und ist bei all seiner Jungend ein Künstler, von dem bereits ein beachtliches Werk vorliegt und noch viel zu erwarten ist – das nicht nur im Bereich des Bildnerischen, auch in der Literatur.
Ich freue mich, dass wir gemeinsam ein so interessantes und ungewöhnliches Bild und Remo Albert Alig als würdigen Preisträger für den Premi Cultural Paradies gekürt haben. Für mich als Auswärtigen war es ein Erlebnis hier als Juror zu arbeiten und zu sehen, was in nicht allzu weit entfernter Nachbarschaft an Kunst geschaffen wird. Ich beglückwünsche den Preisträger, aber auch alle Teilnehmer am Wettbewerb, wir konnten viele sehr gute Arbeiten bewundern.
Gerald Kurdoğlu Nitsche, Atelier im Karrnerwaldele, Landeck/Tirol, im November 2004